Digital na(t)ive …
Medienkonsum light oder 24/7?
Wie geht es bei dir jetzt im Augenblick in der Familie mit den Zeiten, die deine Kinder vor ihrem Handy, der Spielekonsole bzw. dem Gaming PC sitzen?
Ist das alles in grünen Bereich oder gibt es tägliche Diskussion zum Thema Mediennutzungszeiten?
Viele Klienten melden mir, dass es in der Familie verstärkt Diskussionen über Handy- und Spielezeiten gibt, seit die Pandemie die Schule online in die Familie gebracht hat.
Die Zeit der Mediennutzung ist seitdem in vielen Familien explodiert.
Interessant ist, dass in Familien-Gesprächen über die Zeit am PC und im Netz schnell eine Grundsatzdiskussion entsteht.
Sind jetzt unsere Kinder
„Digital natives“ (und wir Eltern demzufolge die digitalen Neandertaler…) oder sind sie „digital naive“?
Denn zum Teil wissen sie definitiv was sie tun, aber zum Teil eben auch nicht. Zum Beispiel, dass ihre Aktionen im virtuellen Raum Konsequenzen haben … und ich meine damit nicht nur den Bewegungsmangel, der durch das viele Sitzen seinen gesundheitlichen Tribut fordert.
Beginnen wir mit dem ersten Teil: wir alle sind doch heilfroh, dass unsere Kinder durch die Zeit des digitalen Unterrichts aufgrund ihre Vorkenntnisse weitaus besser hindurch gekommen sind als wir das zu Beginn der Pandemie befürchtet hatten.
Ich selbst hatte einen Elternabend auf Teams mit den Eltern meiner Schüler und habe meine Schüler im Vorfeld gebeten, daran teilzunehmen. Zum einen rede ich lieber mit den Menschen als über sie und zum anderen hatten meine Schüler die Aufgabe, ihren Eltern beizustehen, wenn es darum ging sich über Teams einzuwählen, die Stummtaste zu entsperren und Handzeichen zu geben.
Es war eine Freude mitzubekommen, wie souverän die Jugendlichen ihren Eltern die digitale Welt der Teamsitzung erklärten. Und ich muss gestehen, es war eine liebenswerte und witzige Begleiterscheinung zu sehen, wie meine Schüler, Augen rollend und tief durchatmend, ihren Eltern begreiflich machten, dass ein Handzeichen bedeutet, die Hand zu heben, um etwas zu sagen. Und dass Herzchen, die gleich neben dem Handhebezeichen sind, nicht gedrückt werden dürfen weil o-b-e-r-peinlich. …
Unsere Kinder sind also durchaus sehr aufgeschlossen für alles, was im Medienbereich bereits existiert oder neu dazu kommt.
Mehr noch: es war für unsere Schüler nicht nur einfacher, sich in der medialen Unterrichtswelt zurecht zu finden. Es war auch die einzige Chance, wie sie am Nachmittag und/ oder Abend der elterlichen Daueraufsichtspflicht entgehen konnten und sich mit ihren Freunden in der digitalen Welt verabreden konnten.
Da konnte man als Eltern lautes Lachen aus dem Teenager-Zimmer hören. Weil sich alle gerade auf Discord verabredet hatten und neben dem Spielen chatten, reden und lachen konnten. Für uns Eltern Zutritt nicht gewährt. Zum Glück. Sonst wäre unsere Jugend noch mehr Normalität der wichtigen Pubertätsphase, Peergroup, Sturm-und-Drang-Zeit verloren gegangen.
Digitale Nutzung hieß und heißt demzufolge, dass sich unsere nächste Generation mit dem Medium beschäftigt, das auch das Privat- und Berufsleben ihrer eigene Zukunft maßgeblich beeinflussen und prägen wird.
Viele unsere Kinder werden Berufe ergreifen, die es heute noch gar nicht gibt, in denen Digitalisierung und Technik eine Rolle spielen, die für uns jetzt noch gar nicht greifbar ist.
Demzufolge ist es eine gute Option, dass sie sich täglich damit beschäftigen. Es geht dabei um eine Struktur, die gebildet wird und sich einprägt.
Teil zwei… „denn sie wissen nicht was sie tun“…
Digital naive: ja, das sind unsere Jugendlichen leider auch.
Ihnen fehlt noch sehr viel an Hintergrundwissen, an Vernunft und Rechtsverständnis, sodass sie in viele der digitalen Fallen tappen.
Da gibt es die Klienten, die vom Anwalt einer Medienkanzlei einen Brief erhalten, in dem sie zu 1000 € Zahlung aufgefordert werden, weil sich ihr jugendliches Kind einen Film unerlaubterweise gestreamt hat.
Da gibt es Schüler, die von der Polizei mit einer Anzeige belangt werden, weil sie im Klassen-Chat Bildmaterial herumgeschickt haben, das entweder pornographisches Bildgut beinhaltet oder die Rechte am eigenen Bild verletzt.
Die Konsequenz, dass daraufhin eine Strafanzeige gestellt werden kann, die die ganze Familie betrifft und diese dazu führen kann, dass die Polizei sämtliche Medien im ganzen Haushalt beschlagnahmt, ist ihnen nicht bewusst.
Auch die Strafanzeige der Eltern, die meist den Kindern den Zugang auf WhatsApp unter der Altersgrenze gewährleistet haben, ist dabei nicht ohne.
Da kann eine Anzeige wegen Pornographie größere Kreise ziehen kann: dann die nämlich die Eltern die Beschuldigten.
Und die meisten Eltern haben nicht die leiseste Ahnung, was ihre Kinder da alles verschicken.
Da gibt es Jugendliche, denen nicht klar ist, dass sie mit jedem Klick im Internet, der künstlichen Intelligenz, die im Hintergrund arbeitet, Fakten und Daten über sich liefert. Diese wiederum sorgt dafür, dass der junge User manipuliert werden kann. Werbung, die genau auf den Benutzer zugeschnitten ist, Nachrichten, die gefiltert werden, Algorithmen, die dafür sorgen, dass noch mehr Zeit im Netz verbracht wird.
Ich habe mir vor kurzem mit meinen Kindern auf Netflix „The Social Dilemma“ angesehen. Eine Art Dokumentation, die selbst ebenfalls kritisch betrachtet werden darf. Denn die Art und Weise, wie in dem Film mit dem Thema umgegangen wird, ist sehr reißerisch.
Aber der Grund -Tenor des Filmes macht nachdenklich. Auch mich als Elternteil und vor allem mich als Nutzer von Internet und Computer.
Natürlich ist uns allen bewusst, dass wir als Käufer bei Amazon, Verwender von Google und Besitzer von Social Media Accounts viele Daten preisgeben.
Aber die Ausmaße und vor allem auch die weitere Verwendung dieser Daten hat mich sehr betroffen gemacht.
Was also ist das Fazit für uns als Familie in Bezug auf die Nutzung digitale Hilfsmittel.
Fluch oder Segen?
Zukunft oder Überwachung?
Akzeptanz oder Verbot?
Vielleicht gibt es kein Fazit, sondern eher eine Empfehlung: sich informieren und gemeinsam in der Familie bewusst mit diesem Medium umgehen.
Dafür sorgen, dass die Accounts unsere Kinder dem Alter entsprechend nicht für alle sichtbar sind und besprechen, was gepostet werden darf.
Vorsicht mit Daten, die unsere Kinder zu leichtfertig im Netz preisgeben.
Mit unseren Jugendlichen über Nutzungszeiten reden, aber vorher erst einmal selbst auf die eigene Nutzungszeit am Handy einen Blick werfen.
Ich kann von meinen Kindern nur verlangen, was ich ihnen selbst auch vorlebe.
Geeignete Filme über Daten und deren Verwendung ansehen.
Ich kann den Film „The Social Dilemma“ nicht uneingeschränkt empfehlen. Zu viele Kritikpunkte sehe ich in der Einseitigkeit der Filme dieser Art.
Auf der anderen Seite hat mich der Film sehr wach gemacht und meine Kritikfähigkeit im Umgang mit Social Media sensibilisiert.
Zum Beispiel, was alles an Daten gesammelt und gezielt eingesetzt wird.
Zum Beispiel, dass nichts einfach umsonst ist heutzutage und dass auch die scheinbar kostenfreien Social Media Plattformen jemanden viel Geld bringen. Das sollte uns bewusst sein. Dass der Mensch zum Produkt wird, … das wird in diesem Film sehr gut veranschaulicht.
Welche Zeiten geeignete nicht geeignet sind, darf jede Familie für sich selbst festlegen. Natürlich gibt es Richtlinien und Leitfäden. Aber es darf zu euch als Familie passen…
Wenn ihr in der Familie Kontroversen und Diskussionen über dieses Thema habt und Unterstützung braucht, kannst du mir sehr gerne eine Nachricht schreiben:
seitz@keen-teens.de
Wir finden eine Lösung, die zu euch passt.
Herzliche Grüße, deine
Susanne Seitz
Link zur Filmbesprechung: The Social Dilemma