„Wie bekomme ich meinen Sohn von der Zockerei weg?“
Das ist eine der häufigster Fragen, die ich von Jungs-Eltern im Vorgespräch eines Coachings gestellt bekomme.
Videospiele können wirklich unglaublich süchtig machen … und doch auch gleichzeitig Kindern den ultimativen Ausweg aus dem Alltag bieten.
Hier kommen meine wichtigsten Tipps und Erkenntnissen, nachdem ich seit über 25 Jahren mit Kindern arbeite.
Ein Gedanke vorweg: Das Zocken an sich zu verurteilen ist natürlich leicht …
Aber so einfach ist es nicht: alle Videospiele als schlecht oder Zeitverschwendung abzustempeln macht keinen Sinn.
Es gibt nämlich einige echte Vorteile, die das Spielen mit sich bringt (zum Beispiel soziale Vorteile, den Abstand bekommen, Problemlösung beim Verfolgen von Zielen, Schulstress abbauen, Reaktionsfähigkeit schulen, usw.).
Bleibt da bitte als Eltern aufgeschlossen.
Natürlich braucht alles ein Gleichgewicht.
Dafür sind die folgenden Ansätze gedacht.
1. Ausgleich vs. Flucht vor der Realität?
Dieser Ansatz kann viel verändern.
Wenn Kinder nach einem langen Tag Videospiele nutzen, um sich zu entspannen und abzuschalten, ist das ein guter Aspekt – denn sie sorgen in diesen Augenblick für Ausgleich (nicht anders als wenn Erwachsene ihre Lieblingssendung schauen. Ich möchte das nicht bewerten … ich kann es nachfühlen – und trotzdem dazu anregen, auch andere Wege zur Entspannung zu finden.)
Aber nun mal Hand aufs Herz… lebst du als Elternteil eventuell dieses Muster vor? Folgt dein Kind bei seiner Bildschirm-Entspannung da nicht einfach deinem Vorbild?
Wenn wir Bildschirme als einzigen „Fluchtweg“ nutzen, ist das nicht unbedingt gesund – vielleicht fallen dir ja noch andere Möglichkeiten ein. Bestenfalls etwas, das deine Kinder mit(er)leben oder nachleben können.
2. Zwei Dinge, die du als Vater und Mutter tun kannst:
1. Bleib neugierig, warum dein Kind spielt.
2. Bleib dran, dass das Spielen / Bildschirmzeit nur EINE Art der Freizeitgestaltung ist.
Das bedeutet natürlich, dass wir uns in den nächsten Absätzen auch über andere Möglichkeiten der Freizeitgestaltung Gedanken machen dürfen und das erfordert ein bisschen Gedankenaufwand und Mehrarbeit…
Darauf möchte ich dich gleich vorbereiten.
Aber alles der Reihe nach.
Ohne, dass ich dir jetzt zu nahe treten möchte, so haben doch sehr viele Eltern, vor allem in der Corona Zeit, die Ruhe genossen, wenn ihr Kind beschäftigt war. Dass dies sehr oft auch über Zocken ablief, war (vor allem) zu dieser Zeit gefühlt überlebenswichtig für viele gestresste Eltern.
Wie wäre es, wenn du dir einfach mal wieder die Mühe machst und den Reset-Knopf drückst: gemeinsam mit deinem Kind etwas zu machen, was dein Kind gerne macht. Oder ihm die Freiheit zu geben, dies auch ohne dich zu machen.
Dazu bedarf es natürlich, dass du dir erst einmal wieder Gedanken darüber machst, was dein Kind wirklich gerne macht… Und bitte werfe hier einfach mal deine eigene Pädagogik-Anspruchsgedanken über Bord.
Zum Beispiel Langeweile zu haben und auszuhalten ist ein wichtiges pädagogisches Prinzip. Daraus kann große Kreativität entstehen.
Auch ein Treffen mit Freunden auf dem Spielplatz oder das gemeinsame Abhängen in Einkaufszentrum schult die Entwicklung eines jungen Menschen: den eigenen Platz finden in der Peergroup.
Oder… Wie wäre es endlich mal wieder mit einem Sportverein? Eine neue Sportart lernen oder einfach mal etwas von früher wieder fortsetzen. Einen Versuch wäre es wert, oder?
3. Bitte fange erst einmal damit an, das Bedürfnis deines Kindes zu verstehen.
Es wird nicht viel nützen, deinem Kind ständig Vorträge über Videospiele zu halten.
Druck erzeugt immer Gegendruck.
Versuche lieber zu verstehen, was deinem Kind am Spielen Spaß macht und lass bitte einfach mal auch hier den pädagogischen Zeigefinger stecken.
Wenn du neugierig wirst und dich wirklich für das WARUM und WAS interessierst, wirst du eine wichtige Tür zum Herzen deines Kindes öffnen.
Du zeigst ihm, dass du zu seinem „Team“ gehörst und nicht nur eine weitere Person bist, die sich darauf fixiert, was es falsch macht.
4. Schaffe Grenzen MIT deinem Kind.
Bevor ich auf diesen Punkt nachher eingehe, möchte ich kurz einen kleine Ergänzung machen.
Für diesen Weg braucht es weder Schneepflug -Eltern, die ihren Kindern alles aus dem Weg räumen noch Regelfestleger oder Erklärbären.
Wir brauchen hier sogenannte Leuchtturm-Eltern.
Ein Begriff, der für so viel Gutes stehen kann – auf jeden Fall aber für eine sehr gute Strategie.
Am liebsten würde ich schreiben: „Einfach mal die Klappe halten und erst mal zuhören … und dabei Leuchtsignale für die Richtungskorrektur schicken.“
Ein Leuchtturm steht einfach nur in Ruhe da, fest im Fundament und klar… da dröhnt nichts und da gibt es kein wildes Umhergezappel und blinden Aktionismus (wie zum Beispiel PlayStation wegnehmen und zwei Stunden später wieder einknicken und zurückgeben).
Politisch korrekt möchte ich es so formulieren: „Hör deinem Kind einfach mal zu und gib Feedback nur zu dem, was es vorschlägt.“
Leuchtturm-Eltern laden ihre Kinder dazu ein, Grenzen für die Bildschirmzeit festzulegen. Warum?
Es verbessert das Bewusstsein und fördert die Unabhängigkeit (wonach sie sich sehnen)
Frag nach, was seiner Meinung nach fair ist, hör ihm zu und verhandle nur, wenn nötig … und macht dann von dort aus weiter!
Das bedeutet: investiere in seine Interessen und gibt ihm die Möglichkeit, Eigenverantwortung anzubahnen.
Anstatt Videospielen als den unnötigsten Zeitvertreib auf der Welt zu betrachten …
Warum nutzt du es nicht als Gelegenheit, mit deinem Kind über etwas in Kontakt zu treten, das es liebt?
Ich sehe derzeit, dass sich viele Eltern diese Gelegenheit verpassen, weil sie sich große Sorgen um die Zukunft machen (was nachvollziehbar ist – und doch: Sorgenmachen ist keine Lösungsansatz).
Verpasse bitte nicht die Gegenwart, weil du dich um die Zukunft sorgst. Gestalte die Gegenwart als Lern-Chance.
5. Habe Mitgefühl für dein Kind.
Es wächst in einer Welt auf, die GANZ anders als die ist, in der du aufgewachsen bist.
Big Tech zahlt Milliarden, um die Aufmerksamkeit von (jungen) Menschen zu erlangen und zu behalten… (übrigens auch ein Grund, warum du gerade scrollst … 😉).
Es ist nicht die Schuld deines Kindes, dass es dieser Versuchung erliegt.
Alle Strategien der Psychologie und des Marketings sind darauf angelegt, diesen Effekt zu erzeugen.
Statt zu schimpfen, dass sie, genau wie wir alle, dieser Manipulation nicht widerstehen können, dürfen wir ihnen und uns den angemessenen Umgang mit „Reiz und Reaktion“ beibringen…
Das nennt man Impulskontrolle und begegnet uns im Leben nicht nur bei Videospielen, sondern auch bei Schokolade, Zigaretten, Alkohol, Drogen, übermäßiges Arbeitsverhalten, …
Noch Fragen, warum es so wichtig ist, dass dein Kind diesen Umgang mit Versuch(t)ung jetzt in seiner Kindheit lernt?
5. Verstehe die Motivation zum Zocken.
Es geht um Bestätigung…
Über 80 % der in einer Studie befragten Schülerinnen und Schüler gaben an, dass sie Videospiele spielen, weil sie darin gut sind.
Sie erhalten die Bestätigung, die ihnen die Schule (und oft auch das Zuhause) nicht uneingeschränkt gibt.
Durch das Zocken werden zudem drei wichtige, psychologisches Grundbedürfnisse aktiviert (und nur, dass du dir der Relevanz dieses Punktes bewusst bist: es gibt nur insgesamt vier psychologische Grundbedürfnisse!)
1. Der Wunsch nach Zugehörigkeit…
Wenn dein Kind mitreden kann bei verschiedenen Spielen, wenn es einen begehrten Level erreicht hat, dann wird sein Gefühl der Dazugehörigkeit ausgelöst. Danach streben wir Menschen alle, da wir als soziale Wesen geboren werden.
Unser Urinstinkt zeigt uns: wer früher aus der Gruppe ausgeschlossen wurde, der konnte nicht überleben. Diese Aspekt triggert immer noch unser Reptilien-Gehirn: den ältesten Teils unseres Gehirns.
2. Der Wunsch nach Kontrolle: indem dein Kind durch das Zocken besser und trainierter wird, hat es die Kontrolle darüber, Level nach Level zu schaffen. An und für sich ein sehr wichtiges Prinzip, mit dem wir bei der Übertragung dieser Fertigkeit auch andere (zum Beispiel schulische) Leistungen aufbauen können.
3. Das Bedürfnis danach, sich gut zu fühlen…
Ein sehr einfaches Prinzip, das durch das Zocken natürlich erfüllt wird.
Auch das Scheitern und die anschließende Möglichkeit, das Scheitern durch Wiederholung des Levels zu verändern trägt zu diesem Wohlgefühl bei.
Bestimmt kannst du jetzt gut nachvollziehen, was passiert, wenn die Zeit zum Spielen um ist und dies genau in die Zeit des Scheiterns fällt… Natürlich ist dein Kind dann nach dem Spielen extrem genervt und frustriert.
Die logische Konsequenz daraus:
Lobe dein Kind für seine Charaktereigenschaften, Fähigkeiten, Aktivitäten auch außerhalb des Spieles.
Leider leben wir immer noch in einer sehr lob-armen Gesellschaft.
Achte doch einfach einmal auf die vielen kleinen Details, die im Alltag bei euch passieren und die dein Kind wirklich gut macht.
Wenn du möchtest, dann probier einfach mal, was dir von diesem Gedankenansätzen, in deiner Familie weiterhilft.
Herzlichst, deine Susanne Seitz