Im Eurovision Contest steht am Samstag in Tel Aviv ein deutscher Beitrag mit dem Titel „Sister“ im Wettbewerb. Es geht um Geschwister“liebe“ im Speziellen und im übertragenen Sinne.
Ein Thema, das alle Eltern entweder eventuell aus eigener Kindheit oder aus der jetzigen Situation kennen, für den Fall, dass sie mehrere Kinder haben.
Welche Eltern wünschen sich nicht, dass sich ihre Kinder gut vertragen und somit ein harmonisches Familienleben begünstigt wird?
Mehr noch: manchmal sehen es Eltern als persönliches Versagen an, wenn sich die eigenen Kinder streiten.
Dabei ist es ganz normal, dass sich Geschwister streiten: sie erlangen dabei die Kompetenz, mit Konflikten umzugehen, sie auszuhalten und schließlich zu lösen.
Auch wenn in den frühen Kindheitsjahren die Art der Streitlösung für uns Erwachsene noch wenig befriedigend ist.
Es ist ein Lernprozess, den wir Eltern wiederum sehr gut begleiten können.
Ziel ist, dass deine Kinder Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten konstruktiv lösen können und gleichzeitig ein Band zwischen ihnen entsteht, das ein Leben lang halten kann.
Welche Möglichkeiten haben wir als Eltern?
Zum ersten gilt es, die individuellen Bedürfnisse deiner Kinder zu (er-)kennen.
Du solltest die Gefühle deiner Kinder verstehen, um ihnen gerecht werden zu können.
Eines der wichtigsten Grundbedürfnisse von Kindern ist der Wunsch nach Zuwendung. Es ist aus völlig nachvollziehbaren Gründen allerdings eines der ersten, das bei der Geburt eines Geschwisterkindes vernachlässigt wird.
Eltern haben aber nur begrenzte Ressourcen. Manchmal genügt die Kraft einfach nicht, um allen gerecht zu werden. Es reicht schon, dass ein Kind krank wird oder aufgrund vieler Veränderungen besonders viel Nähe braucht – schon müssen die anderen zurückstecken. Manchmal ist man als Elternteil selbst angeschlagen und gestresst.
In all diesen Fällen hilft es, wenn Kinder mehrere Bezugspersonen haben. Das können die Großeltern, Onkels und Tanten, Paten oder enge Freunde von dir sein. Solche Bindungen sind gut für euch alle. Sie entlasten dich, wenn du mit deiner Energie haushalten musst. Aus genau diesen Gründen wird die Kindererziehung in traditionellen Kulturen auf die ganze Sippe oder das halbe Dorf verteilt, denn so ist immer jemand für die Kinder da.
Der zweite Baustein ist, deine Kinder nicht in Rollen zu drängen und zu vermeiden, sie miteinander zu vergleichen.
Dass flapsige Kosenamen „mein kleiner Tollpatsch“ für Kinder nicht förderlich sind, liegt wohl auf der Hand. Aber wusstest du, dass du deinem Kind genauso wenig positive Etiketten wie „unser kleiner Professor“ oder „unser Sonnenschein“ aufdrücken solltest?
Hier geht es darum, die problematischen Auswirkungen solcher Rollenzuweisungen zu verstehen. Wir alle sind vielseitig und wandelbar. Das gilt ganz besonders für Kinder, die in einem Moment übervorsichtig und pedantisch sein können, kurz darauf aber wieder kreativ und chaotisch. Diese Wandelbarkeit behalten wir ein ganzes Leben lang bei.
Wenn wir Kindern Stempel wie „unser Sonnenschein“ oder „typischer Junge“ aufdrücken, schränken wir sie in ihrer Entwicklung ein. Sie identifizieren sich mit diesen Labels und versuchen unterbewusst, ihnen zu entsprechen und lasten mit großem Druck auf kleinen Schultern.
Die Kinder können tiefe Ängste entwickeln, die Zuneigung ihrer Eltern zu verlieren, wenn sie die hohen Erwartungen enttäuschen. Der Psychologin Carol Dweck zufolge kann diese Versagensangst dazu führen, dass sie die Herausforderungen irgendwann pauschal ablehnen.
Rollenzuweisungen schränken also ein. Der „Sonnenschein“ fühlt sich zum immer fröhlichen Gemüt verpflichtet und lernt nicht, seine negativen Gefühle auszudrücken. Selbst das „Sorgenkind“ kann die Erwartungen verinnerlichen und „brav“ weiter Probleme machen, um bloß nicht aus der Rolle zu fallen. Freiheit sieht anders aus.
Wir sollten solche Etiketten vermeiden – auch die gutgemeinten –, damit sich unsere Kinder frei fühlen, alle Seiten ihrer Persönlichkeit zu entfalten.
Der Druck belastet übrigens auch die Geschwister. Wenn eines der Kinder eine bestimmte Domäne mit seinem Talent besetzt, scheuen sich die anderen oft, sich selbst in diesem Bereich auszuprobieren. Aus demselben Grund sollten wir es vermeiden, Geschwister zu vergleichen und miteinander in Konkurrenz zu setzen. Sätze wie „Lara konnte viel früher laufen als du, Max“ können Max kränken und unnötigen Neid auf seine Schwester schüren. Wenn du willst, dass deine Kinder wie ein Team zusammenhalten, darfst du sie nicht durch vergleichende Bewertungen gegeneinander aufbringen.
Bringe deinen Kindern bei, Konflikte konstruktiv zu lösen.
„Warum könnt ihr euch nicht einfach mal vertragen?“
Das Gezanke zwischen Geschwistern treibt Eltern zur Verzweiflung. Gerade haben sie noch ganz friedlich miteinander gespielt, alles ist schön, und im nächsten Moment knallt’s. Müssen Kinder denn ständig streiten?
Man könnte sagen: Ja.
Streit zwischen Geschwistern ist das Normalste auf der Welt.
Laut Jeffrey Kluger, dem Autor von The Sibling Effect aus dem Jahr 2011, streiten Geschwister in westlichen Gesellschaften durchschnittlich 6,3-mal pro Stunde. Du bildest dir also nicht nur ein, dass es alle zehn Minuten rappelt.
Kleine Kinder streiten besonders viel, weil sich ihre Empathiefähigkeit noch entwickelt. Sie verstehen schlichtweg nicht, warum es ihr Geschwisterkind verletzt, wenn sie ihm sein Spielzeug wegnehmen.
Die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, reift bei den meisten Kindern erst im Vorschulalter. Dann entwickelt sich ein bestimmter Bereich der Großhirnrinde, die u.a. für das logische Denken zuständig ist.
Das bedeutet, dass deine Kinder erst ab dem vierten oder fünften Lebensjahr zunehmend in der Lage sind, empathisch auf die Gefühle anderer zu reagieren und in Streitsituationen den eigenen Ärger zu bändigen. Das ist eine gute Voraussetzung dafür, dass sie den Umgang mit Konflikten lernen. Es ist aber noch lange keine Garantie.
Womit wir beim nächsten Baustein wären:
Hilf deinen Kindern dabei, streiten zu lernen. Jede Meinungsverschiedenheit ist eine Gelegenheit, konstruktive Konfliktlösung zu üben. Die Autorin Nicola Schmidt empfiehlt dafür sechs Schritte:
1. Hilf deinen Kindern immer zuerst, sich zu beruhigen. Niemand kann klar denken, wenn er aufgebracht ist.
2. Fordere die Streithähne dann einzeln auf, dir das Problem zu schildern.
3. Fasse ihre Beschreibungen dann ruhig und neutral mit deinen eigenen Worten zusammen. Nach dem Motto: „Tom will also alleine spielen, aber Marie wäre gern in seiner Nähe.“
4. Erinnere sie jetzt an die Regeln, die in eurer Familie für solche Fälle gelten, z.B. „Jeder hat das Recht, alleine zu spielen“ und „Wir nennen einander nicht ‚Doofmann‘ oder ‚Ziege‘“.
5. Hilf deinen Kindern, eine für alle befriedigende Lösung zu finden, wenn sie noch zu klein dafür sind: „Marie, was würdest du denn gerne machen, während Tom allein spielt? Wollen wir zusammen malen? Tom, hast du Lust, später mit Marie zu spielen?“
6. Unterstütze sie dann dabei, die Lösung umzusetzen. Ermutige sie, sobald sie größer sind, eigene Lösungen zu finden. Spring ihnen dann nur noch zur Seite, wenn der Verhandlungsprozess ins Stocken gerät und überlass ihnen die Umsetzung nach Möglichkeit selbst.
Hilf deinen Kindern, sich selbst zu finden.
Bisher haben wir uns stark auf das Miteinander der Geschwister konzentriert. Deine Kinder sollen aber natürlich auch zu eigenständigen Persönlichkeiten heranwachsen. Beim letzten Baustein geht es genau darum: um die individuelle Entfaltung der Kinder. Wie kannst du ihnen dabei helfen?
Indem du ihnen Aufmerksamkeit schenkst und ihnen den Rücken stärkst. Nimm dir Zeit, um zuzuhören, wenn dein Kind dir etwas erzählt. Stelle konstruktive Fragen und hilf, seine Gedanken und Gefühle zu ordnen. So zeigst du ihm, dass du es als einen Gesprächspartner ernst nimmst, der Wichtiges und Interessantes zu berichten hat.
In individuellen Freiräumen können deine Kinder herausfinden, wer sie sind und was sie mögen. Die Unterschiede bei den Vorlieben kristallisieren sich schon früh heraus. Wenn du es irgendwie einrichten kannst, dann fördere diese individuellen Interessen!
Quelle: Nicola Schmidt „Geschwister als Team“ in Blinkist