Hörst du mich nur oder hörst du mir zu?
Die Gesprächskultur zwischen Eltern und Kindern ist oft geprägt von einer Struktur, die einem Interview gleicht: “Wie war’s in der Schule?” “Hast du viele Hausaufgaben auf?”.
Und genau genommen bekommen Kinder diese Art von Kommunikation auch in der Unterhaltung zwischen den Eltern ebenso vorgelebt: “Wann kommst du heute heim?” “Gehst du heute Abend zum Sport?” “Kannst du heute den Termin beim Zahnarzt mit den Kindern übernehmen?”: das Abfragen von Terminen und Zuständigkeiten.
Wann hast du zuletzt dein Kind und auch deinen Partner nicht nur gehört, sondern ihnen auch ZUgehört? Wann hast du das letzte Mal die Zeit gehabt, darüber zu reden was du heute erlebt hast und was dich bewegt hat? Und ganz ehrlich: sich dabei über irgendetwas aufregen oder über jemanden echauffieren gilt hier nicht. Das ist keine Kommunikation, sondern wird im Allgemeinen als “Lästern” und “Jammern” deklariert.
Wir leben unseren Kindern Kommunikation vor
Erzählen was dir wichtig ist oder mal nachfragen wie es deinem Kind wirklich geht, worüber es mit seinen Freunden in der Pause gesprochen hat… DAS ist der Anfang von echter Unterhaltung: Gespräche mit deinem Kind, als ob du es gerade wieder neu kennenlernen möchtest. Denn genau das ist es, was wir in Beziehungen mit Menschen, die wir lieben und mit denen wir zusammen leben, oft verpassen: dass wir uns alle weiter entwickeln…unsere Kinder sogar mit einer unbeschreiblichen Geschwindigkeit. Wie genau ist denn der Mensch, der da gerade mit mir frühstückt? Nicht mehr derselbe, der er gestern war!
Ein tolles Zitat stammt dazu von Mark Twain: “Der einzige Mensch, der sich vernünftig verhält, ist mein Schneider: er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn wir uns begegnen … während alle anderen immer wieder die alten Maßstäbe anlegen!”
Misst du bei deinem Kind auch noch mit den alten Maßstäben vergangener Tage? Was ist mit deinem Partner?
Denn dieses “echte” Unterhalten beinhaltet auch die Gespräche mit deinem Partner: diese bekommt dein Kind ja auch tagtäglich mit und lernt dieses vorgelebte Muster.
Wenn ihr euch kritisiert statt euch darüber auszutauschen was euch wichtig ist, wenn ihr streitet statt euch zu fragen: “Wie kann ich dich heute unterstützen?”…. Dann ist es genau diese Struktur, die dann dein Kind als Gesprächskultur übernimmt.
Woher ich das weiß? Weil Eltern oft zu mir kommen mit dem Thema, dass ihr Kind ihnen nichts mehr erzählt…Dass sich ihr Teenager immer mehr abschottet und sich in seinem Zimmern verschanzt.
Dann stelle ich die Frage: wie sieht denn die Kommunikation insgesamt in der Familie aus? Und schon beim Beantworten der Frage kommt die Erkenntnis!
Wenn wir nur daran interessiert sind, was die Schule macht und ob unser Kind schon Klavier geübt hat…. Dann wird das Interview irgendwann für beendet erklärt und dein Kind verlässt den Schauplatz des Kreuzverhörs. Hörst du deinem Kind denn wirklich zu? Anstatt zu kritisieren, dass dein Sohn stundenlang am Computer spielt: weißt du überhaupt, was er spielt? Worum es bei dem Spiel geht? Welchen Level er erreicht hat? Weißt du, welche youtuber deine Tochter total klasse findet und warum das so ist?
Wenn du daran Interesse zeigst, dann wird dich dein Kind irgendwann auch ehrlich danach fragen, was DU heute gemacht hast und wie es DIR geht. Dann erst ist echte Kommunikation möglich… Kommunikation bei der der andere nicht nur gehört wird, sondern dem anderen zugehört wird.
Wie gelingt echte Kommunikation?
Es gibt wunderbare Ansätze, echte Kommunikation wieder anzubahnen: Einen Versuch ist es wert, oder?
Ein erster Ansatz ist: wie gut schaffst du es, einen ganzen Tag bewusst darauf zu verzichten, andere zu kritisieren, zu jammern und zu lästern. Ist ganz leicht denkst du…!?
Dann freue ich mich, dass du diesen Ansatz gleich heute er-lebst. Vierundzwanzig Stunden inneres “Space clearing”!
Ein zweiter Punkt: höre an dem darauf folgenden Tag einfach mal wieder zu.
Oft warten wir ja bei Gesprächsthemen nur darauf, auch unsere Erlebnisse oder unsere Meinung zu dem Thema zu äußern und kund zu tun. Ein Luftholen unseres Gesprächspartners … und schon springen wir mit UNSERER Geschichte mitten rein. Hör doch einfach mal richtig hin, WAS da erzählt wird. Frag nach und lass den anderen endlich mal wieder ausreden. Interesse am anderen … An seiner Weiterentwicklung, an seiner Denkweise, an seinem Leben. Ja, da gehört dazu, dass du dein inneres Ego einfach mal leise stellst…. Damit das ständige innere Kommentieren und Urteilen endlich einmal Ruhe gibt und Platz macht für wirkliches Wahrnehmen und Zuhören.
Es sind Gespräche wie diese, die in uns wieder die Türen öffnen durch die wieder echte und ehrliche Worte und Werte zu uns durchdringen.
Kommunikation die nicht auf das Abklären von Terminen beschränkt ist. Kommunikation wie wir sie uns mit unseren Partnern und heranwachsenden Kindern wünschen…
Ein weiterer Aspekt ergibt logisch: wir beurteilen während wir zuhören mit unserem eigenen System. Dass sich das Bewertungssystem eines Erwachsenen Menschen von dem eines heranwachsenden Kindes unterscheidet, ist nachvollziehbar. Seltsamerweise vergessen wir das im Gespräch mit unseren Kindern, beziehungsweise, wir blenden es aus. Ein Kind, das kleinlaut verkündet, dass es Angst vor der bevorstehenden Schulaufgabe hat, wird oft mit folgendem Kommentar abgefertigt: „Du brauchst keine Angst davor zu haben!“.
Ist das die Kommunikation, die wirklich zielführend ist? Ist die Antwort darauf ausgelegt, dem Kind bei der Bewältigung seiner Angst zu helfen? Wir bewerten mit unserem eigenen System die Dimension, die eine Arbeit von ungefähr 35 Minuten darstellen kann (denn Angst macht uns heute so etwas wie eine unheilbare Krankheit, finanzieller Ruin oder der Verlust der Arbeitsstelle). Deswegen poltern wir dann einen Standardspruch raus, mit dem wir schon groß geworden sind. Ganz ehrlich: hat DIR dieser Spruch geholfen, besser mit deiner Angst vor einer Prüfung umgehen zu können?
Sprache ist etwas Wunderbares und kann heilen, ermutigen, umarmen, motivieren, trösten, stark machen, … Die Grundlage für gelungenen Kommunikation darf deswegen immer sein, dass wir mit dem Bewerten aufhören. Es ist nicht die Frage, ob die Angst vor der Prüfung, oder der Streit mit der Freundin oder die Wut auf den Lehrer gerechtfertigt ist.. Wichtig ist, dem Kind mittels eines Gesprächs zu lernen, dass es ernst genommen wird und dass über geeignete Worte eine Veränderung der Situation machbar wird.
Worte, die eine neue Tür aufmachen, die dein Kind bis dato noch nicht kannte. Eine Tür zur nächsten Ebene an Kommunikation. Viel besser wäre es demnach zu fragen, wovor dein Kind genau Angst hat. Das große Schreckgespenst Angst (oder Streit, Wut, usw. ) erst einmal herunter brechen auf die kleinste Einheit. Überlegt gemeinsam, warum zum Beispiel die Angst vor einer schlechten Note so viel zählt und ob es auch eine gute Note werden könnte. Die Fragen: „Wie machst du es, dass du Angst hast? Machst du deine eigene Vorstellung gerade groß, dass du scheitern könnest? Was macht die Angst mit dir und was möchtest du stattdessen lieber denken und fühlen? Wie gut fühlt es sich jetzt schon für dich an, dass du heute in der Schulaufgabe einfach ganz ruhig die Bereiche bearbeitest, die du kannst und bei den anderen dein Bestes gibst?“ Das sind Fragen, aus denen sich ein Gespräch entwickeln kann, das dem Kind weiterhilft. Die Macht der Worte einer Kommunikation, wie wir sie uns auch für uns selbst wünschen würden: ohne Bewertung, dafür sehr wertschätzend.
In diesem Sinne wünsche ich dir einen wert- und wortvollen Tag, an dem du viel hören und noch viel mehr zuhören kannst.