Liebe Eltern,
dies ist der Brief, den ich euch gerne schreiben würde.
Dieser Kampf, in dem wir uns gerade befinden. Ich brauche ihn. Ich brauche diesen Kampf. Ich kann euch das nicht sagen, weil ich nicht die Worte dafür habe und dieser Kampf für sich gesehen sinnlos ist.
Aber ich brauche ihn. Und zwar dringend. Es spielt keine Rolle, worum dieser Kampf überhaupt geht: Handy, Hausaufgaben, Wäsche, mein unordentliches Zimmer, Ausgehen, Bleiben, Gehen, Nicht Gehen, Freund, Freundin, keine Freunde, schlechte Freunde.
Das ist nicht wichtig. Ich muss im Augenblick gegen euch kämpfen und ihr musst euch mir entgegen stellen.
Ich brauche euch dringend, um das andere Ende des Bandes zwischen uns zu halten. Festhalten, während ich mich am anderen Ende festhalte… während ich vorsichtig und noch unsicher Halt in dieser neuen Welt finde, in der ich mich fühle, als wäre ich noch kein Teil von ihr.
Früher wusste ich, wer ich war, wer du warst, wer wir waren.
Aber jetzt weiß ich es nicht mehr. Im Moment suche ich nach meinen Ecken und Kanten und kann sie manchmal nur finden, wenn ich an mich mit euch anlege. Manchmal kann ich mich selbst deswegen nicht leiden und manchmal kann ich mich selbst sogar erst im Kampf mit euch überhaupt selbst fühlen.
Wenn ich alles, was ich früher kannte, an seinen Rand dränge. Dann fühle ich mich, als ob ich existiere, und eine Minute lang kann ich atmen.
Ich weiß, dass ihr euch nach dem süßen Kind sehnt, das ich war. Ich weiß das, weil ich mich auch nach diesem Kind sehne, und ein Teil dieser Sehnsucht ist das, was im Moment so schmerzhaft für mich ist.
Ihr könnt auch hinter meinem Rücken mit euren Freunden über mich reden, euch aufregen über mich, mein Verhalten kritisieren – es ist mir egal. Gebt mich nur nicht auf. Gebt nur diesen Kampf nicht auf. Ich brauche ihn.
Dies ist der Kampf, der mich lehren wird, dass mein Schatten nicht größer ist als mein Licht.
Das ist der Kampf, der mich lehren wird, dass schlechte Gefühle nicht das Ende einer Beziehung bedeuten.
Dies ist der Kampf, der mich lehren wird, auf mich selbst zu hören, auch wenn es andere enttäuschen könnte.
Und dieser spezielle Kampf wird enden. Wie jeder Sturm wird er vorbeiziehen. Und ich werde es vergessen und du wirst es vergessen. Und dann wird er zurückkommen. Und ihr müsst wieder am Seil festhalten. Ich werde das immer und immer wieder brauchen, jahrelang.
Ich weiß, dass diese Arbeit für euch nicht gerade befriedigend ist. Ich weiß, dass ich euch wahrscheinlich nie dafür danken oder auch nur ein Detail eurer Arbeit anerkennen werde.
Wahrscheinlich werde ich euch sogar für all diese harte Arbeit kritisieren. Es wird so aussehen, als ob nichts, was ihr tut ausreichen würde.
Und doch verlasse ich mich ganz auf eure Fähigkeit, in diesem Kampf zu bleiben.
Egal, wie sehr ich auch argumentiere. Egal, wie sehr ich auch wüten und schmollen mag. Egal, wie still ich werde.
Bitte haltet am anderen Ende des Seils fest. Und seid euch bewusst, dass ihr das Wichtigste und Wertvollste tut, was jemand für mich tun könnte.
In Liebe, dein Teenager