Stark wie ein Tiger?
Ich bin am letzten Freitag aus dem Schullandheim in Bamberg zurückgekehrt.
Wir haben einen dreitägigen Ausflug mit einer siebten Klasse unternommen in dem es sehr viel um Gemeinschaft, Neues erkunden und Komfortzonenerweiterung ging.
Wir hatten eine wunderschöne, wenn auch sehr herausfordernde Zeit.
Bei so einem Ausflug wird klar, was unsere Jugendlichen brauchen. Bestimmt nicht nur zu der Zeit nach zweieinhalb Jahren Ausnahmezustand, aber gerade jetzt.
Es war zum Beispiel deutlich zu spüren, mit wie vielen Themen unsere jungen Menschen gerade kämpfen.
Themen, die sie so stark beschäftigen, dass Schule und Wissensvermittlung einfach zweitrangig ist.
Doch auch beim Thema Wissen war offensichtlich, dass dieses in der Schule gerade wirklich nur erschwert vermittelt werden kann.
Es war erschreckend zu beobachten, dass die Aufmerksamkeitsspanne bei den Erlebnisführungen sehr stark beeinträchtigt war. Konzentration über zehn Minuten? Nicht gewährleistet.
Wissensvermittlung darf anscheinend neue Wege gehen. Obwohl die Führungen sehr spannend und an Bewegung gekoppelt waren und wir zudem Führungen hatten mit faszinierenden Persönlichkeiten, die die Kinder mit ihrer jugendnahen Art abgeholt haben, … es war manchmal nicht möglich, unsere Jugendlichen hier konzentriert bei der Stange zu halten.
Vielleicht haben auch einfach nur die schnellen Schnitte, das Gepiepse und Geblinke eines Computerspiels gefehlt…
Möglich. Aber sehr traurig mit anzusehen.
Nun, unser Highlight war definitiv ein anderes.
An einem Nachmittag stand nämlich eine Flussüberquerung auf dem Programm. Dazu wurden Seile über einen Fluss gespannt und die Schüler durften sich über diese Seile ans andere Ufer hangeln.
Das hört sich jetzt vielleicht nicht spektakulär an. Aber, eingebunden in eine Teambildung-Aktion, war deutlich sichtbar und zu spüren, was unsere Jugendlichen im Augenblick am meisten brauchen.
Über 3 Stunden bauten sie gemeinsam konzentriert unter der Anleitung vom grandiosen Team vom Tigersprung e.V. eine Seilkonstruktion.
Was so beeindruckend war:
Wir hatten viele Kinder dabei, denen deutlich anzumerken war, dass sie sich zu wenig zutrauen, sich abgrenzen und sich selbst nicht akzeptieren.
Dass daraus Konflikte innerhalb der Gemeinschaft (Schule und Familie) entstehen ist nachvollziehbar.
Dazu kommt, dass viele Kinder sich seit zweieinhalb Jahren nicht mehr so oft und intensiv bewegen.
Sie kleben förmlich fest an ihren digitalen Allzeitbegleitern.
Bestimmt sind sie dadurch flink in der schnellen Reaktion.
Doch die langfristige Aufnahme von Inhalten und die Körperreaktionen sind einfach nicht mehr in dem Maße vorhanden, wie es im alltäglichen Leben erforderlich ist.
Bewegung und Konzentration sind elementar wichtig.
Und damit meine ich nicht nur für die Schule.
Ich weiß nicht, wie oft ich in den Tagen des Schullandheims den gleichen Schülern die selbe Frage beantworten musste.
Die Info wurde gehört, aber nicht abgespeichert.
Da schien es viel einfacher, noch einmal nachzufragen als selbst nachzudenken.
„Wann ist Treffpunkt?“ „Um 2 Uhr.“ … „Okay.“ … „Wann ist nochmal Treffpunkt?“🙈
Scheint ein gut funktionierendes Muster zu sein… auch daheim.
Das Gehirn auf Standby.
Ganz anders beim Brückenbau: da galt es konzentriert aufzupassen. Sonst wurde es nass oder schmerzhaft.
Plötzlich ging es mit der Konzentration: die Konsequenzen waren klar.
In diesem Fall vielleicht eher unangenehm… aber gekoppelt mit dem Ziel, die Brücke souverän zu meistern.
Ein doppelter Turbo für Motivation und Fokus.
Auch das Thema fehlende Bewegung unserer Jugend trat offenkundig zu Tage: es fehlte die Körperspannung, die Feinmotorik.
Und was ebenfalls noch viel Luft nach oben zur Verbesserung hat: Kommunikation und Teamgeist.
Miteinander reden, sich unterstützen und Mut machen. Zusammenhalt.
Das alles ist etwas, was in einem Sport außerhalb der Schule wieder viel mehr gelebt werden darf.
Computerspielen daheim ist bequem. Aber die oben genannten Fertigkeiten und Fähigkeiten finden nicht am Monitor sondern auf dem Bolzplatz, im Verein und in der Gruppe statt.
Es wurde an diesem Nachmittag ganz klar: was unsere Jugendlichen gerade am meisten brauchen.
Selbstvertrauen, das in der Gruppe gestärkt wird.
Genau all das wurde durch in diesen Stunden durch die Erlebnispädagogik gelebt.
Schülerinnen und Schüler, die sich trauten, ihre Komfortzone zu verlassen. Und das, obwohl einige noch vorher verkündet haben:
„Da mache ich nicht mit!!!! Auf keinen Fall!“
Die zittrig, aber stolz bis in die Haarspitzen am rettenden Ufer ankamen.
Die zum Teil kurz danach herauspressten: „Das mache ich NIE wieder!“… um dann zehn Minuten später zu verkünden: „Das war echt cool – ich würde es doch noch einmal machen.“
Was bleibt uns an Erfahrung nach diesen drei Tagen:
reine Wissensvermittlung ist gerade erschwert, weil die Konzentrationsspanne deutlich reduziert ist (es sei denn, wir Lehrer und Eltern schaffen es, mit Geblinke und Gepiepse auf unsere Botschaft aufmerksam zu machen 😉 ).
Es darf im Hintergrund viel am Selbstbewusstsein und an der Gemeinschaft gearbeitet werden, um überhaupt wieder eine Basis zu haben, in der sich Kinder fühlen und wahrnehmen.
Das heißt (vor allem jetzt in den nahenden Ferien): raus gehen, Sport machen mit Freunden, Abenteuer erleben…
Sich wieder spüren.
Mein herzlicher Dank geht an Helene und Frank vom Tigersprung e.V. : ihr wart wunder-voll.
Ihr habt mit eurer ruhigen und unterstützenden Art im wahrsten Sinne kleine Wunder in unseren Schülerinnen und Schülern bewirkt.
Und ebenfalls ein großes Lob geht an „unsere“ Klasse: ihr habt gezeigt, welch unglaublicher Mut und Zusammenhalt in euch steckt.
Ihr wart einfach klasse!
Bildquelle: privat (mit freundlicher Genehmigung des darauf abgebildeten Schülers und seiner Eltern) 😉
Absolute Empfehlung mit meinem Prädikat „besonders wertvoll“: Tigersprung e. V. in Bamberg
http://tigersprung.de/
www.keen-teens.de