Wie drehe ich Wut um?
Oder: was hat die Wut mit einem Fußballteam und einem Tunnel zu tun?
Wenn Teenager aggressiv sind, “ausflippen” und Wutausbrüche haben, schieben wir das allzu schnell auf die Pubertät.
„Das sind die Hormone.“
Doch auch ein Wutanfall ist Kommunikation … eine Interaktion mit dir als Elternteil oder mit dem Leben an sich.
Wutausbrüche bei Jugendlichen können uns etwas zeigen.
Ein Versuch, uns mitzuteilen, welche Bedürfnisse gerade vorhanden sein können, auf die unser jugendliches Kind im Augenblick nicht adäquat reagieren kann, weil es dafür kein Verhaltensmuster in sich findet.
Das heißt nicht unbedingt, dass er keine lösungsorientierte Reaktion kennen würde. Das heißt, dass er/ sie diese im Augenblick nicht in sich findet, weil er/ sie gerade keinen Zugang hat oder sie noch nicht für sich erkannt hat.
Wut an sich gehört zu den großen Emotionen, die wichtig sind für uns. Mein Trainer Dirk Eilert hat die Emotionen mit einem Fußballspiel verglichen… Diese Metapher finde ich sehr gut, da sie unsere Kinder sie verstehen und übertragen können – und wir Eltern auch.
Stellen wir uns vor, wir wären der Trainer einer Fußballmannschaft. Wir haben elf Spieler, die wir aufs Feld schicken. Jeder Spieler hat eine Position, die wichtig ist im Spiel. Diese Position im Spiel lässt sich übertragen auf die Emotionen in unserer Gefühlswelt.
Wir sind der Trainer / Boss unsere Gefühle. Oft natürlich scheint es auch uns so, als ob unsere Gefühle eine Art eigenen Kopf haben und im Spiel schnell reagieren – und das nicht immer im Sinne des Trainers … also uns. Und trotzdem: zuständig für das große Ganze und das Ergebnis sind wir als Trainer.
Für jedes Spiel sind alle großen Emotionen wichtig. Da gibt es die Verteidigung: in dieser Reihe ist die Angst zu finden. Da gibt es aber auch die Wut, die im Sturm zu finden ist.
Ein Trainer würde niemals den Sturm, die Verteidigung oder den Torwart einfach mal auf der Bank lassen und zu den anderen Spielern sagen, dass dieses Spiel ohne diese wichtigen Positionen gespielt werden soll.
Wie im richtigen Spiel ist es aber auch so, dass, wenn eine Position zu viel Macht an sich reißt und plötzlich alles übernehmen möchte, es für das Gesamtspiel fatal ist.
Dann darf man als Trainer diesen Spieler / dieses Gefühl mal an den Spielfeldrand pfeifen und ihm klarmachen, dass er / es zurück auf seine Position gehen soll und auch auf die anderen Spieler / Gefühle achten darf.
Wut ist wichtig. Aber Wut darf auf seiner Position bleiben und nicht alles an sich reißen.
Wut darf den Ball auch mal wieder abgeben an die anderen Positionen / Gefühle.
Unser Teenager darf also lernen, mit seinen Spielen, die im Spielfeld des Lebens für ihn / für sie spielen, gut zu agieren und die Verantwortung für das Gesamtspiel und das Ergebnis zu übernehmen.
Wie aber gehen wir mit unserem wütenden und wüteten Teenager um?
Wenn wir uns auf die Bedürfnisse hinter dem Verhalten konzentrieren, können wir ihm helfen, die Ursache zu beheben (Bedürfnis stillen im Hintergrund) und somit ändert sich auch das Verhalten (im Vordergrund).
Bedürfnisse:
1 . Sie möchten deine Aufmerksamkeit
Oft fühlen sich die Jugendlichen zwischen zwei Welten. Sie möchten endlich erwachsen sein und autark – und sehnen sich doch gleichzeitig nach der Geborgenheit der heilen Welt ihrer Kindheit zurück.
Doch diesen Zustand der Zerrissenheit in logische Worte zu fassen schaffen nicht einmal alle Erwachsenen.
Was dann viel naheliegender erscheint ist, diesen Stau an kontrastierenden Gefühlen abzubauen: in Form von körperliche Energie.
Deshalb schreien sie herum, zerbrechen etwas oder werden uns gegenüber aggressiv. Das bekommt auf jeden Fall unsere Aufmerksamkeit.
2. Sie hinterfragen deine Führungsrolle
Wenn du in deiner Rolle als „Leitwolf“ des Familienrudels unsicher bist, dann treten „Grenzentesten“ oder Infragestellen vermehrt auf.
Du sendest sogenannte doppelte Botschaften aus, du sagst das eine und deine Körpersprache, deine Gestik und Mimik drücken aber das Gegenteil aus.
Das verunsichert dein jugendliches Kind und diese Verunsicherung drückt sich wiederum in seinem Verhalten aus.
3. Sie sind unsicher, was von ihnen erwartet wird
Manchmal zeigen unsere Kinder unpassendes Verhalten aus dem einfachen Grund, weil sie nicht wissen, was sie stattdessen tun sollen. Besonders in für sie neuen, herausfordernden Situationen, schnappt das Gefühl der Unsicherheit, Angst über und springt auf ein anderes Verhalten, in dem sich sicher fühlen.
Wut schafft Raum und setzt Grenzen.
Aber Wut zerstört auch und verletzt.
Diese Gratwanderung zu üben und auszuprobieren, vor allem im sicheren und geschützten Rahmen der Familie, ist wichtig.
Hilf deinem jugendlichen Kind hier, seinen Weg zu finden.
5. Sie spiegeln dich
Das lesen wir jetzt nicht gerne, stimmt’s?
Salz in die Wunde.
Aber wenn wir selbst gestresst sind, mit unseren Kindern schimpfen und schreien, vielleicht sogar mit Strafen arbeiten, dann ist es ziemlich sicher, dass wir über kurz oder lang das gleiche Verhalten bei unseren Kindern sehen.
Entweder sie werfen uns unsere eigenen Worte an den Kopf oder das nächstjüngere Kind bekommt’s ab.
Überprüfe also, wie deine Kommunikation in letzter Zeit mit deinem Kind oder deinem Partner war und ob es da Besserungsbedarf gibt.
Das geht schon im Auto an: das lautstarke Fluchen und Beleidigen des Vordermannes. Auch das ist aggressives Vorbildverhalten.
6. Sie sind frustriert
Viele natürliche Entwicklungsphasen im Leben der Kinder führen kurzzeitig zu Frustrationen. Schon allein das Feld Schule und Noten reichen als Hinweis für die Frustrations-Quelle aus.
Oder auch der Frust gegenüber der Bevormundung durch die Eltern. Oft verharren die Eltern in zu strengen Reglements.
Hier muss ich als Elternteil ganz klar sehen: macht diese Regel noch Sinn?
Setze ich diese Regel deshalb weil ich kein Vertrauen in meinen Teenager habe?
Hat er vielleicht durchaus einen Grund, auf mich wütend zu sein?
Viele kleine Frustrationen sammeln sich im Laufe des Tages an und münden irgendwann eventuell in einem Wutanfall oder mächtigen Gefühlsausbruch.
Auch hier wäre es schön, wenn das Kind sagen könnte: “Diese Situationen frustrieren mich immens…”
Stattdessen wird die Tür zugeknallt oder der kleine Bruder bekommt es ab.
Wie gehe ich damit um?
Die Frage stellt sich nun natürlich: was können wir als Eltern tun?
Wie können wir unserem Kind vermitteln, dass Wut eine wichtige Emotion ist, aber der Umgang damit gelernt werden darf.
Zu allererst rate ich den Eltern meiner Klienten, die in einer solchen Situation sind, dass sie ein Stoßdämpfer einsetzen soll.
Ein Stoßdämpfer ist eine spezielle Technik, mit der du die Situation erst einmal deeskaliert ist, dein Kind in seinem Gefühlsrausch nicht ignorierst oder zurückstößt, sondern abholst.
Statt selbst die Stimme zu erheben einfach mal Mitgefühl ausdrücken. „Ich kann verstehen, dass du wütend bist.“
Du kannst versuchen dein Kind dazu zu bringen, selbst zu formulieren, warum es gerade so wütend ist.
Andernfalls kannst du ihm /, ihr Vorschläge machen die ebenfalls mit einem Stoßdämpfer eingeleitet werden: „Ich kann mir vorstellen, dass du wütend bist, weil… . Ist das so?“
Und dann: bitte keine Lösungsvorschläge. Es aushalten, dass diese Wut, dieses Gefühl erst einmal gefühlt werden darf.
Wenn die Wut zu groß ist, klare Grenzen setzen: ein deutliches „STOP!“ oder „HALT!“ als Separator.
Auch ein: „Ich möchte nicht, dass du mich anschreist!“ ist eine klare Grenze.
(Und dabei aber bitte diesen Satz nicht zurückschreien.)
Dann auch hier erst einmal aushalten, dass nicht gleich wieder erklärt, gemaßregelt wird oder Lösungen angeboten werden.
Kurzfassung: Stoßdämpfer, deeskalieren durch Ruhe und Klarheit, Bedürfnisse überprüfen. Wo könnte es gerade ein Defizit geben?
Damit gelingt es ganz einfach, die Emotionen wieder auf ihre richtige Position (siehe Fußballspiel) zu bringen.
Reflektionen kann erst sehr viel später angestrebt werden. Manchmal Stunden später oder auch erst am nächsten Tag.
Was ist das Ziel?
Dein Kind befähigen, dass es, bevor es in den Wut-Tunnel eintritt (aus dem es nicht mehr heraus kommt indem es anhält oder abbiegen möchte, sondern einfach nur durch rauschen muss) die Emotion Wut wieder auf deinen Posten zurückbringt.
Das Ziel ist, auf die Warnsignale zu achten, bevor sich Wut zu sehr aufbaut.
Neue Verhaltensmuster lernen, die es befähigen statt mit Scheuklappen auf den Wut-Tunnel zu zufahren und rein zurauschen, eine Weiche vorher zu nehmen…. lieber stehen zu bleiben. Zurück zu fahren.
Dies kann am besten über das Prinzip „Ertappen und Umschalten“ gelebt werden. Sich beim Aufbau des Gefühls ertappen und rechtzeitig umschalten durch eine Entspannungstechnik oder in ein Gefühl / Verhalten, das mich weiter bringt als die zerstörende Wut.
Wenn du mehr über Stoßdämpfer, Deeskalation und das Lernen neuer Verhaltens- und Denkmuster erfahren möchtest oder wenn du Unterstützung brauchst in deiner Familie schreibe mir gerne eine Nachricht unter
info@keen-teens.de
Herzlichst,
Deine Susanne Seitz